Von Jönköping nach Stockholm

Wieder die Rucksäcke aufwuchten und losspazieren. An der nächsten Autobahnauffahrt sah es deutlich besser aus. Endlich mal kein Kreuz oder Kreisverkehr. Direkte Auffahrt und davor eine Tankstelle mit Parkplatz. Das war perfekt. Ich hatte es satt, nur rumzustehen, das Schild hochzuhalten und doch wieder ignoriert zu werden. Wir fingen an, Leute an der Tankstelle aktiv anzusprechen. "Nein."
"Nein." "Nein." "Nein."
Mhmm.
Weiter.
"Nein" "Nein" "Nein" ...
Ihr seht, wir bekamen viele Neins.
Und dann war da ein Auto, das gerade erst raufgefahren kam. Der Fahrer saß noch am Steuer, aber schaute uns schon ganz offen und freundlich an. Er machte das Fenster runter und ich fragte, ob er vielleicht in Richtung Stockholm führe und uns mitnehmen würde. Richtung Stockholm? Ja, er fuhr nach Stockholm!
... Und er würde uns mitnehmen!!!
Ich war total überrascht.
Mein Freund hatte gar nicht mitbekommen, was abging und war auch perplex, dass plötzlich jemand ja gesagt hatte!
Der Fahrer räumte für uns das Auto frei und es war ja schon ne gewisse Kunst, genug Platz für zwei Erwachsene und nochmal zwei fast mannsgroße Monsterrucksäcke Platz zu schaffen. In den Kofferraum hätte wahrscheinlich eh nur einer gepasst, aber der war sowieso voll mit Autorreifen. Ich machte es mir mit den Backpacks auf der Rückbank gemütlich und mein Freund ging auf den Beifahrersitz. Naja, so gemütlich wie man es sich da hinten eingequetscht eben machen konnte. Ich konnte es noch gar nicht glauben, bis nach Stockholm! Das war unser Idealziel gewesen. Eine Teilstrecke wäre schon gut gewesen. Oh mein Gott, endlich hatten sich die Mühen ausgezahlt.
Wir hatten natürlich wieder den Wagen und das Nummernschild fotografiert und teilten permanent unseren Live-Standort. Nur um nochmal auf die Sicherheit beim Trampen einzugehen. Sollten wir entführt werden oä wussten Kontaktpersonen wenigstens, wonach die Polizei fahnden musste. Wenn ich das so schreibe, läuft mir schon ein Schauer über den Rücken. Aber Vorsicht sollte die Basis solcher Unterfangen sein. Genauso wie man nie bei Jemandem einsteigen sollte, wenn man ein schlechtes Bauchgefühl hat. Also es ist nicht so, dass wir völlig unselektiert bei jedem Fremden ins Auto steigen! Wir sind uns des Risikos bewusst, das wir in Kauf nehmen und versuchen natürlich, dieses so gering wie möglich zu halten.
Unser Fahrer hieß Jamal und kam aus der pakistanischen Region Kaschmir. Das ist mir beim Trampen in Schweden bereits aufgefallen: es waren nie Schweden, die uns mitgenommen hatten. Als ich die kurze Strecke zum Tyresta Nationalpark getrampt war, nahm mich ein Italiener mit, der Fahrer in Växjö kam aus Palästina. Wir wussten, dass Trampen in Schweden nicht so üblich war, aber so eine Ignoranz hätte ich den sonst so netten Schweden gar nicht zugetraut.
Wir waren jedenfalls unglaublich erleichtert, froh und euphorisch, dass wir endlich eine "Mitfahrgelegenheit" nach Stockholm gefunden hatten. Immerhin betrug die Strecke stolze 300 km. Wir waren auch stolz auf uns. Und Jamal zu tiefstem Dank verbunden. Er nahm häufiger Tramper mit, wie er uns erzählte und die Gespräche mit Jamal waren sehr interessant. Er handelte mit Autos, studierte aber auch (irgendwas in Richtung Umweltingenieurwesen oder so) und hatte ziemlich interessante Ideen für nachhaltigen Häuserbau und andere Dinge. Große Visionen. Aber es hörte sich alles logisch an. Ich hoffe, dass seine Ideen tatsächlich realisierbar sind und sich dann auch durchsetzen. Oft scheitert es bei großen Ideen genau daran.
Wir hatten echt eine coole, lustige und abenteuerliche Fahrt. An jeder Abfahrt fuhren wir raus, weil Jamal auf der Suche nach Autogas war, was sich aber anscheinend nicht so leicht finden ließ. Generell war die Aussicht atemberaubend. 25 km führte die Straße direkt am Vättern lang. Jamal spendierte uns Cola von der Tankstelle und fuhr extra für uns noch zu einem Aussichtspunkt. Brahehus hieß der und dabei handelte es sich um eine alte Ruine, die Mauern eines alten Hauses, mit einer atemberaubend schönen Aussicht. So toll, dass er extra hergefahren war, um uns das zu zeigen!

Sowas sind die Gründe, warum ich so heiß auf Trampen, Couchsurfing und ähnliche Erfahrungen bin. Weil es besondere Momente sind, kreiert durch Menschen, die man auf seiner Reise trifft, oftmals Locals, und die man so niemals erlebt hätte. Für mich sind dies die Dinge, die mir in Erinnerung bleiben. Und nicht, wie schön das Hotel war, wie es dort aussah oder was es auf dem Buffet gab. Es sind die Momente, die eine Reise einzigartig machen!


Nach ein paar Stunden fuhren wir wieder ab, Jamal ging einkaufen und fuhr dann auf einen Berg. Dort wechselten wir das Auto. Bisher waren wir mit dem Auto eines Freundes gefahren, der hier wohnte. Das neue Auto war ein alter, klappriger Jeep und wir fühlten uns, als würden wir jetzt auf Safari gehen. Alles in allem war es sehr lustig. Aufgrund der vielen Unterbrechungen brauchten wir einige Stunden länger als normal, aber das war natürlich völlig okay. Jamal ließ uns an einem Bahnhof süd-westlich von Stockholm raus und wir fuhren zum Campingplatz. Dabei konnte mein Freund auch endlich die Kunstgalerie der Stockholmer U-Bahn bewundern. Ich glaube, Stockholm war eins seiner Highlights und auch ich freute mich, nochmal mein "Zuhause" mit ihm zu teilen und ihm die Orte zu zeigen, an denen ich die letzten Monate verbracht hatte. Oft hatte ich mir gewünscht, ich hätte meine Lieben von Zuhause um mich und könnte diese Momente mit ihnen teilen. Wir fuhren noch eine dreiviertel Stunde zum Campingplatz. Kurz hatten wir einen kleinen Schock als die Anzeigetafel zeigte, die nächste U-Bahn zu unserer Haltestelle würde erst wieder um 5 Uhr morgens fahren. Es war mittlerweile nach 23 Uhr. Glücklicherweise stellte sich am Ende heraus, dass nur die Anzeigetafel kaputt war. Das hatte ich auch noch nie erlebt.

Diese Info gab es nur auf Schwedisch. Generell ist mir aufgefallen, dass in "Krisensituationen" Informationen nur auf Schwedisch bereitgestellt werden, genauso wie auf allen möglichen Infotafeln in jedwedem Kontext. Das überrascht mich, sind die Schweden doch sonst so englisch-freundlich. Und in Stockholm, auf Campingplätzen und an bei Urlaubern beliebten Orten sind ja nun auch nicht gerade wenig internationale Touristen unterwegs. Da wundert mich das schon. Eigentlich sollten Informationen auf Englisch heutzutage überall selbstverständlich sein. Vor allem in Touristengegenden und First-World-Ländern.

Insgesamt war die Fahrtzeit von dort, wo Jamal uns rausgelassen hatte bis zum Campingplatz 1,5 Stunden. Plus die Verzögerung am Hauptbahnhof. Und dann mussten wir noch eine Viertelstunde von der U-Bahn zum Campingplatz laufen. Warum mussten die eigentlich immer soweit außerhalb liegen?

Als wir ankamen war es schon tief in der Nacht.

Wir versuchten, die Informationen am Infobrett zu entschlüsseln, die es auch wieder nicht auf Englisch oder Deutsch gab. Ich kramte mein eingerostetes Französisch wieder aus der letzten Ecke meines Kopfes und schaffte es nach ein paar Minuten ohne Hilfe den Text zu übersetzen. Und dann ging es erst wieder richtig los. 

Autowechsel - ab geht die Safari oder so ähnlich
Autowechsel - ab geht die Safari oder so ähnlich