Auslandsaufenthalt und die Coronavirus-Pandemie - passt das zusammen?
Eigentlich nicht. Es sei denn...
Ich glaube, dieses Thema hängt uns allen irgendwie schon zum Halse raus und keiner kann das Wort Corona mehr hören. Trotzdem ist es ein geschichtliches Ereignis, das wir momentan miterleben und es wird auch in Jahrzehnten immer noch Gesprächsthema sein. Weil es schon "eine große Sache" ist und ich mich auch in ein paar Jahren noch über meinen Blog an meine Auslandszeit erinnern will, möchte ich trotzdem einen kleinen Beitrag zum Thema Auslandsaufenthalt unter Corona schreiben. In gewisser Weise auch um festzuhalten, wie ich diese Pandemie (nicht) erlebt habe.
Zu allererst stellt sich natürlich die Frage, ob es überhaupt zu verantworten ist, trotz dieser weltweiten Notlage bzw. Gefahr ins Ausland zu gehen, während tausende Deutsche gerade aus dem Ausland zurückgeholt wurden. Aber im Endeffekt war es nicht verboten, was ich gemacht habe und wenn ich in einem Land bin, in dem Dinge erlaubt sind, die zuhause nicht erlaubt sind, muss ich mich dann tatsächlich schlecht bzw. schuldig fühlen, wenn ich diese Dinge mache? Manchmal kommt mir der Gedanke schon, aber andererseits denke ich mir Nein. Anders wäre es, wenn ich mich tatsächlich über Verbote der Regierung hinwegsetzen und diese ignorieren würde. Habe ich jetzt tatsächlich Menschen damit in Gefahr gebracht, dass ich mich entschieden habe, trotz Corona ins Ausland zu gehen? Ich bin in Deutschland zu Anfang der Pandemie so gut wie gar nicht rausgegangen. Ich bin nicht mit den Öffis in die Stadt zur Arbeit gefahren, habe stundenlang mit Kollegen oder Kunden im selben Büro gesessen oder Ähnliches. Dadurch hatte ich so gesehen schon ein deutlich geringeres Infektionsrisiko. Auf meiner Anreise bin ich keinen Menschen begegnet, ich war auf der Fähre die ganze Zeit alleine. Und in Schweden war es wiederum erlaubt, sich frei im Land zu bewegen.
Da es hier kaum Einschränkungen gibt, finde ich es okay, hier zu sein und dem normalen Leben nachzugehen. Wäre es nicht okay, würde Schweden einen anderen Weg gehen.
Alles in allem bin ich natürlich sehr, sehr froh, dass ich mir Schweden als Zielland ausgesucht habe und genau dieses Land, das sonst in Deutschland (abgesehen von Greta Thunberg) nie in den Nachrichten ist, auf einmal als einziges Land mir noch Zutritt und ein "normales" Leben gewährt. Ob das wirklich nur Zufall ist?
Dass der Alltag hier absolut normal und uneingeschränkt ist, hatte ich ja, glaube ich, schon öfter erwähnt. Keine Masken(pflicht), kein Lockdown, keine Kontaktverbote, keine Einlassbeschränkungen vorm Supermarkt. Ob das der richtige Weg ist, lasse ich offen. Dazu kann ich nichts sagen und darum soll es hier auch nicht gehen. Aus persönlicher Sicht eines Menschen, der einen möglichst normalen Auslandsaufenthalt erleben möchte, finde ich das natürlich gut. Und obwohl das Meiste hier normal ist und ich sehr dankbar dafür bin und man auch fast nichts von der Pandemie hier merkt, jedenfalls als "normaler schwedischer Bürger" nicht, gibt es natürlich schon einige Punkte, wo Beschränkungen doch meinen Auslandsaufenthalt tangieren. An der Stelle eben, an der ich mich als "Gast" von normalen Einwohnern unterscheide. An dem Punkt, an dem ich nicht nur stumpf meinem Alltag nachgehe, sondern auch als Ausländer, als Reisender, als Tourist ein fremdes Land erleben möchte.
Ich versuche ja, trotzdem das Beste draus zu machen und Schweden steht natürlich vor allem für seinen Reichtum an Natur, der auch das ist, was so viele Menschen nach Schweden lockt. Natur kann man zum Glück auch unter der Pandemie noch erleben. Aber auch wenn die Natur einer der Gründe war, weshalb ich nach Schweden wollte, so ist das natürlich nicht alles. Und ein großes Stück an Kulturerleben wird mir momentan aufgrund der Pandemie leider verwehrt, was ich schon sehr, sehr schade finde und wo man eben doch merkt, dass nicht alles ganz normal ist. Trotzdem bin ich unglaublich froh, die Pandemie und deren Auswirkungen in Deutschland momentan nicht miterleben zu müssen.
Die schwedische Kultur ist für mich eine sehr facettenreiche Sache. Schweden steht für Alfred Nobel, als Wissenschaftler und natürlich als Begründer der weltberühmten Nobelpreise für herausragende Entdeckungen in den Naturwissenschaften oder besondere Leistung in den Feldern Literatur oder Friedensbemühungen. Schweden steht für einen Meilenstein in der Musikgeschichte mit einer der erfolgreichsten Pop-Bands aller Zeiten- ABBA. Über 400 Millionen verkaufte Tonträger. Schweden steht für Gerichte aus Fisch und Meerestieren. Umgeben von Wasser und mit unzähligen Seen, kam Fisch schon immer auf die Teller der Schweden. Insbesondere der Hering hat seinen Platz in der schwedischen Küche. Aber auch Krabben und Krebse sind Teil der schwedischen Hausmannskost. Das Flusskrebsefischen im August hat hier Tradition und ist ein kulturelles Event.
Was ich nicht wusste, bevor ich nach Schweden kam, ist, dass auch Kaffee zur schwedischen Kultur gehört. Beim pro-Kopf-Verzehr von Kaffee liegt Schweden sehr weit vorne auf Platz 2 und wird nur von Finnland überholt. Durchschnittlich vier Tassen Kaffee trinkt der Schwede am Tag! Und ja, besonders die fika ist ein schwedisches Kulturgut. Dabei handelt es sich um eine Kaffeepause, die klassischerweise mit Kaffee und Kanelbullen (Zimtschnecken) am Nachmittag mit Freunden oder der Familie zelebriert wird. Im schwedischen Arbeitsalltag gibt es aber auch fika, was dann einfach mehrere Arbeitsunterbrechungen im Laufe des Tages mit einer (oder mehreren?) Tasse(n) Kaffee ohne Kuchen sind.
Zur schwedischen Kultur gehören die rot-weißen oder manchmal auch gelben Holzhäuschen.
Obwohl die Schweden eigentlich eher ruhiger sind, feiern sie gerne! Ich bin noch nicht lange hier, trotzdem standen schon viele Feiertage im Kalender: Ostern, Walpurgisnacht (Valborg) am 30. April, Tag der Arbeit, Himmelfahrt, jetzt der schwedische Nationalfeiertag am 6. Juni und Mittsommer am 20. Juni steht quasi vor der Tür! Wie erlebt man die Kultur authentischer als beim feiern der nationalen Feste mit den Einheimischen? Dazu gleich nochmal mehr...
Hinzu kommt auch noch eine ganz besondere Sache, nämlich die Kultur der Samen - der indigenen Bevölkerung Fennoskandinaviens in den nördlichen Gebieten Schwedens, Norwegens, Finnlands und eines Teils von Russland. Stark vereinfacht wird das Siedlungsgebiet der Samen als Lappland angegeben (die Samen ist die indigene Bevölkerung mit dem ehemaligen Namen Lappen).
Und zu guter Letzt gibt es natürlich noch eine Reihe von Schriftstellern, die die schwedische Kultur geprägt haben. Weil das für mich der bedeutungsvollste Punkt ist, kommt er ganz zum Schluss. Ich könnte hier jetzt unzählige Schriftsteller nennen, die die verschiedensten Leute für am Wichtigsten halten, werde mich aber auf die beschränken, die für mich am Wichtigsten sind. Einer der aktuellsten Schriftsteller Schwedens ist Jonas Jonasson mit seiner Reihe um "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand", welche in zig Sprachen übersetzt wurde. Dann gibt es Selma Lagerlöf. Sie lebte von 1858 bis 1940 und erhielt als erste Frau den Literaturnobelpreis (1909)! Was für eine besondere Errungenschaft! Außerdem erhielt sie zwei Ehrendoktorwürden und wurde in die Schwedische Akademie aufgenommen. Sie schrieb verschiedene Romane und Kinderbücher, oft mit großer Heimatverbundenheit. Ihr erfolgreichstes Werk ist "Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen". Das Buch erschien 1906 und war noch 100 Jahre später im deutschen Kinderfernsehen als Zeichentrickserie zu sehen! Ob es heute immer noch läuft, weiß ich nicht... Aber das muss man erstmal schaffen. Weitere schwedische Klassiker in der Kinderliteratur sind "Pettersson und Findus", sowie "Mama Muh" von Sven Nordqvist.
Und die schwedische Literatur- und Kulturlandschaft geprägt wie keine Zweite hat nur Astrid Lindgren. Meine große Liebe.
Am bekanntesten ist mit Sicherheit ihre Pippi Långstrump geworden. Aber auch die Geschichten der Kinder aus Bullerbü oder aus der Krachmacherstraße, Michel (Emil) aus Lönneberga, Ronja Räubertochter, Polly, Madita und alle anderen ihrer Werke sind mit Schweden verwurzelt wie nichts anderes.
Tauchen wir wieder auf aus der Idylle und kommen zurück auf den Boden der Realität ohne Glanzüberzug:
Astrid Lindgren ist hier extrem präsent. Natürlich wird das Ganze auch genutzt, um es wirtschaftlich auszuschlachten, denn Astrid Lindgren ist sicherlich auch einer der Touristenmagnete. Kein Wunder also, dass es nicht nur die Bücher, sowie Unmengen an Fan-Artikeln, wie z.B. Kleidung zu kaufen gibt, sondern auch einen großen Astrid-Lindgren-Themenpark in Småland (auf den ich aber eigentlich sehr gespannt bin, um ehrlich zu sein), einen kleineren Astrid-Lindgren-Park in Stockholm, die Möglichkeit ihre Wohnung in Stockholm nach Zahlung eines saftigen Eintrittspreises zu besichtigen, den Hof ihrer Kindheit in Vimmerby...
Und obwohl das Ausschlachtung ist, möchte ich diese Dinge sehen. Trotzdem nimmt dieser immense Konsumdruck dem Ganzen so ein bisschen den Glanz, der die Geschichten eigentlich ausmacht.
Fassen wir noch einmal kurz die Liste von oben zusammen: Wissenschaft, Musik, Kulinarik, "Architektur", Feste, indigene Bevölkerung, Literatur.
Ich bin etwas doll vom ursprünglichen Thema abgekommen bzw. habe ein bisschen sehr weit ausgeholt.
Halten wir also fest, dass es sehr viel Kultur zu erleben gibt in Schweden, aber wie sieht das denn jetzt aus während der Corona-Pandemie? Stockholm hat ziemlich viele, wirklich coole und interessante Museen, darunter das Nobel Prize Museum, das Nordiska Museum (Nordisches Museum), das ABBA-Museum, das Vasa-Museum, das Astrid-Lindgren-Kindermuseum Junibacken, das Fotografiska u.v.m.
Alle sind momentan leider auf unbestimmte Zeit geschlossen und es gab schon einige Momente, in denen ich gerne in eins der Museen gegangen wäre. Gerade für meine freie Zeit vormittags, wenn die Kinder im Kindergarten sind, wäre das der ideale "Lückenfüller". Und es ist auch einfach sehr interessant. Während ich sonst Museumsbesuche auf Reisen manchmal etwas erzwungen finde und man nur hingeht, um im Museum gewesen zu sein bzw. weil man das ja so macht", finde ich hier viele Museen wirklich interessant. Das merkt man dann, wenn man sich wünscht, man könnte hin, kann es aber nicht. Ich hoffe sehr, dass die Museen wieder aufmachen, während ich noch hier bin, allerdings ist es natürlich auch etwas doof, im Sommer seine Zeit hinter geschlossenen Türen im Museum zu verbringen... Vielleicht liegt man dann doch besser am Strand, geht baden und genießt den kurzen Sommer hier...
Hier merkt man die Corona-Einschränkungen jedenfalls ganz deutlich. (Auch wenn das, glaube ich, die freie Wahl der Museen war, zu schließen und keine Regierungsanweisung).
Oben hatte ich schon erwähnt, dass es bereits viele Feiertage in meiner "kurzen" Zeit hier gab und über zwei bzw. drei davon dürften deutsche Augen "gestolpert" sein. Valborg bzw, Walpurgisnacht, den Nationalfeiertag und unmittelbar bevorstehend, das wichtigste schwedische Fest, Mittsommar. Allerdings hat auch hier Corona ordentlich zugeschlagen bzw. Spuren hinterlassen. In der Walpurgisnacht am 30. April werden eigentlich große Feuer angezündet, ähnlich wie bei uns die Osterfeuer und es wird draußen mit allen Groß und Klein der Frühling begrüßt. Dieses Jahr wurden alle Walpurgisfeuer abgesagt, somit ist dieser ganze Brauchtum mir entgangen. Und auch am Nationalfeiertag am 6. Juni wurde es nicht besser. Normalerweise kommt die Königsfamilie ins Freilichtmuseum Skansen, um dort mit allen zu feiern, es gibt viel Musik, überall wird die Landesflagge aufgeflaggt, Flaggen an Kinder verteilt, es gibt Ansprachen und es wird groß und ausgelassen gefeiert. Dieses Jahr.. abgesagt, gähnende Leere. Nichts. Ich möchte mich in diesem Beitrag wirklich nicht beschweren, wie schlimm es mit Corona für mich ist, ich bin froh, dass ich hier so gut, gesund und uneingeschränkt leben kann und sehe natürlich die Notwendigkeit dieser Maßnahmen, die ja in Schweden schon vergleichsweise locker sind. Ich weiß, dass viele Leute unter den wirklichen Einschränkungen, sowie Corona selbst leiden und dass ich Glück habe, überhaupt hier sein zu dürfen und dass alles so reibungslos läuft. Und dennoch, obwohl man das alles hinnehmen und gut damit leben kann, ist es natürlich schade, weil es in einem Jahr ohne Corona anders gewesen wäre. Es ist einfach schade, wichtige Dinge hier nicht erleben zu können aufgrund dieser Situation.
Also, besonders die interkulturelle Erfahrung, die irgendwo den Wert so eines Auslandsaufenthaltes ausmacht, ist momentan stark eingeschränkt. Ich hoffe jetzt, dass zumindest die Mittsommerfeiern regulär stattfinden werden, sonst wäre ich schon sehr enttäuscht. Bislang habe ich mich dahingehend noch nicht ausreichend informiert, aber es sind auch nur noch 2 Wochen bis dahin und gestern fiel ja noch alles aus. Ob die Einschränkungen so schnell oder für so ein wichtiges Fest zurückgezogen werden?
Was ich total vergessen habe zu erwähnen, war mein Sprachkurs. Eigentlich war ich für einen Sprachkurs angemeldet, der explizit für Au Pairs angeboten wurde. Es gibt, wie gesagt, kaum Beschränkungen hier in Schweden. Kaum bedeutet aber nicht gar keine. Und eine der wenigen Beschränkungen betrifft die höhere bzw. die Erwachsenenbildung. Institutionen wie Universitäten o.ä. sind dazu angehalten, keine Präsenzlehre mehr zu veranstalten, sondern nur noch digitale Fernangebote zu ermöglichen. Aufgrund dessen wurde mein Au-Pair-Kurs leider ersatzlos gestrichen und ich musste in einen normalen A1-Kurs. Das ist natürlich nicht wirklich schlimm und ich bin mehr als dankbar, dass ich überhaupt diesen Sprachkurs machen darf. Trotzdem ist es schade, weil somit eine schöne Möglichkeit, andere Au Pairs kennenzulernen bzw. Freunde zu finden wegfällt. Generell macht die Corona-Situation es sehr schwer, hier Menschen kennenzulernen. Alle Veranstaltungen über die man normalerweise Leute kennenlernen würde, sind momentan auf Eis gelegt. Ich denke sowieso, dass viele Au Pairs wieder zurück in ihre Heimatländer gegangen sind und sich hier gerade nicht viele Au Pairs befinden. Allgemein sehe ich kaum Touristen draußen. Die Altstadt (Gamla stan) ist wie leergefegt.
Quellen:
coffeeresearch.org: Statistik des Kaffeeverbrauch pro Kopf nach Ländern (1985–1988);
International Coffee Organization: Kaffeeverbrauch pro Kopf nach Ländern im Jahr 2000;
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