· 

Viele Wege führen nach Stockholm - 05. April 2020

Oder etwa nicht?

Wie ich es trotz Corona geschafft habe, das Land zu verlassen. 

 

Hört sich irgendwie an, als wäre ich ein Krimineller auf der Flucht. 

Also, wie kommt man momentan noch über alle Berge? 

Die kürzeste Flucht wäre mir wohl im Flugzeug gelungen. Dass sich das aber als seeehr schwierig gestaltet, habe ich festgestellt, als drei Mal hintereinander mein Schlepper meinen Flug abgesagt hat. Zu gefährlich. Gefährlich für mich und alle anderen. 

Dabei hat man im Flugzeug auch nicht viel mehr Freiraum als im Zug, ist aber deutlich kürzer unterwegs. 

Nun gut, im Zug kann man sich auch prima schmuggeln lassen, z.B. im Frachtraum oder gleich auf einem Güterzug. Aber nix da! 

Die dänische Regierung hat wohl Wind von meiner Aktion bekommen und vorsorglich die Grenzen schließen lassen. Etwas übertrieben, findet ihr nicht auch? 

Hat auch nichts gebracht, denn natürlich habe ich einen anderen Weg gefunden!

Ich wurde allerdings aufgehalten. Aber nicht von der dänischen Regierung, sondern von meinem Bruder. Obwohl ich meine Flucht über ihn gestellt habe und ihn alleine zurücklassen wollte, habe ich mir aufgrund der widrigen Umstände die Zeit genommen, zu feiern.

Wer von uns jetzt gefeiert hat, dass wir uns die nächsten Monate erstmal nicht sehen und wer, dass er wieder ein Jahr nicht gestorben ist, lass ich mal offen. 

Nein, Quatsch, wir hatten einen schönen Tag mit der Familie und ich denke, er hatte auch einen schönen Geburtstag. 

Aber zurück: Mein nächster Plan war wohl einer der ältesten Schmuggelwege der Welt.

Etwas schade ist es schon, dass dieser dann geklappt hat, denn ich habe mir schon ausgemalt, wie ich mit einem Fallschirm aus dem Privatjet über Stockholm abspringe... Mit einem Umhang hätte die ganze Welt gedacht, die Superheldin kommt, um Stockholm vor der Pandemie zu retten. Am unauffälligsten ist man doch, wenn die ganze Welt einem zuschaut. 

Nun ja, kein Fallschirm, kein Superheld, keine Rettung. 

 

So leer wie die Fähre von Kiel nach Göteborg war, könnte man meinen, ich wäre tatsächlich als blinder Passagier auf einem Geisterschiff gewesen. Wer kennt sie nicht? Die Szenen, in denen irgendwelche Leute in Fässern unbemerkt um die halbe Welt geschippert werden?

Bei meiner 15 Stunden Überfahrt wäre es in dem Fass aber sau-ungemütlich geworden... Sowas berücksichtigen die Produzenten aber auch nie, oder? 

Damit ich die 15 Stunden also nicht zusammengekauert in einem Fass verbringen muss, hat meine Gastfamilie mir eine schöne Kabine mit Meerblick spendiert. Ich hab mir diese Fähre ja völlig falsch vorgestellt. Mein Maßstab waren wohl die Fähren, die einen auf die nord- und ostfriesischen Inseln wie Sylt und Langeoog bringen. Eeeetwas falsch. Mich überraschen ja nicht so oft irgendwelche Sachen, aber der Kahn hatte für mich echt mehr Ähnlichkeit mit einem Kreuzfahrtschiff. 

Auf jedem Deck ein Restaurant und ein Kiosk sind schon etwas übertrieben. Dazu noch ein Casino und ein Fernsehsaal. Was sonst?

Aber natürlich alles zu. Ist ja ein Geisterschiff. Sogar so zu, dass man auf dem ganzen Schiff nichtmal ein wenig Wasser kaufen kann und abwägen muss, ob man lieber über Nacht verdurstet oder das Risiko eingeht, sich mit dem Wasser aus dem Hahn irgendwelche gruseligen Magen-Darm-Viren einzufangen... 

15 Leute auf dem gesamten Schiff... Ich hab viel Zeit an Deck verbracht, eine merkwürdige erste Unterhaltung nach Verlassen der Heimat geführt, festgestellt, dass eine Stunde WLAN schon 6€ kostet und mir dann widerwillig Tomb Raider  auf dem Fernseher in meiner Kabine angeschaut. Nicht besonders unterhaltsam, aber 15 Stunden sind lang. Vorallem ohne Begleitung und ohne Buch oder Internet. Eine kleine Nachtwanderung an Deck und die Luft auf offener See genießen, während ich mich auf die erfolglose Suche nach Wasser (das nicht im Meer ist, haha..) begab. 

 

Dafür war mein erster Blick nach draußen nach dem Aufwachen am nächsten Morgen ganz besonders. Ich füge das Bild hier einfach mal ein. Eine winzig kleine Insel, nur aus Felsen bestehend mit einem roten Holzhäuschen und einem Leuchtturm drauf. Mein erster Blick auf Schweden! Das war so schön für mich, dass mir fast ein bisschen die Tränen gekommen sind... Ich bin dann so schnell es ging an Deck gegangen. Es war ein Wahnsinnsmoment für mich, tatsächlich endlich Schweden zu sehen. Die ganze Einfahrt in den Hafen von Göteborg habe ich an Deck gestanden und konnte mein Glück kaum fassen.

 

Nachdem das Buchen der Anreise fast ein Ding der Unmöglichkeit war, bin ich echt erstaunt, dass meine Einreise komplett ohne Komplikationen verlief. Mich hat weder auf dem Weg von Hamburg nach Kiel, noch beim Betreten der Fähre, noch beim An-Land-Gehen in Göteborg jemand gefragt, was ich hier mache und warum ich aus-/einreisen will. Das Einchecken auf der Fähre war ne Angelegenheit von maximal 20 Sekunden (nur Ausweis und Ticket zeigen) und auch bei der Einreise nach Schweden wurde nur 3 Sekunden mein Pass angeguckt. Da war ich also! Zugegeben, den Weg zur Tram zu finden, war etwas schwierig und wie ich ein Ticket kaufe, davon hatte ich überhaupt keine Ahnung... Kein Fahrkartenautomat weit und breit... 

Ich habe es dann trotzdem irgendwie zum Hauptbahnhof geschafft, meine ersten schwedischen Kronen an den Mann bei der Gepäckaufbewahrung verloren und am Nachmittag dann endlich den Zug nach Stockholm bestiegen!

 

Was soll ich sagen? Der Sitz neben mir war dank Corona frei und die Aussicht aus dem Zug war atemberaubend. So viele Seen und einfach nur atemberaubend schöne Natur. Ich habe es noch nie so sehr genossen, aus einem Zugfenster schauen... 

Es gab dann noch eine kleine Panne und ich musste mit einem Ersatzzug die letzten Meter bis zum Ziel fahren, aber am Bahnhof hat mich dann schon mein Gastvater erwartet! Juhuu!! Endlich da! 

 

So bin ich also trotz der Corona-Pandemie nach Schweden gekommen und ich denke, es ist Schicksal, dass ich mir ausgerechnet Schweden als Ziel ausgesucht habe und genau dieses Land das so ziemlich Einzige ohne Einreiseverbot war. Zum Glück musste ich es nicht über den Landweg durch Polen, das Baltikum, Russland und Finnland mit dem Auto nach Schweden versuchen! Wahrscheinlich wäre ich nichtmal bis nach Brandenburg gekommen, ohne, dass mich die Polizei wieder nachhause verfrachtet hätte. 

 

Välkommen till Sverige!

Kommentar schreiben

Kommentare: 0