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Jokkmokk ~ Das Tor nach Lappland

Es war Nachmittag als wir nach einer viel zu langen Fahrt erschöpft und ohne Plan endlich in Jokkmokk aus dem Bus stiegen. 1. Juli. 

Jokkmokk liegt direkt nördlich am Polarkreis und gehört als Tor nach Lappland damit auch schon zur Arktis. Es gibt kein "eigenes" arktisches Festland (keinen arktischen Kontinent) und somit zählen alle Regionen nördlich des Polarkreises offiziell zur Arktis. 

 

Das Erste, was uns in Lappland ins Auge fiel, war das Systembolaget. Auch eine schwedische Kuriosität über die ich hier auf dem Blog noch nichts geschrieben habe. Das Systembolaget ist das staatliche Alkoholgeschäft. In Schweden wird der Zugang zu Alkohol stark reguliert. So darf in Supermärkten nur Bier bis 3,5% Alkoholgehalt verkauft werden. Zu den klassischen Alkoholkaufzeiten an den Wochenenden abends ist das Systembolaget geschlossen. Das heißt Impuls- bzw. Spontankäufe sind nicht möglich. Ich habe davon noch nie etwas gehört bevor ich nach Schweden kam und habe hier in Jokkmokk auch das erste Mal einen gesehen.

 

Wir überlegten, wie wir jetzt vorgehen sollten und mein Freund schlug vor, das Hostel anzupeilen, das er auf der Fahrt rausgesucht hatte. Ich wollte lieber erstmal zu ICA, dem schwedischen Supermarkt direkt hier.

Hätte ich mal auf ihn gehört...

Wir gingen also mit Sack und Pack zu ICA und deckten uns mit wenig sinnvollen Sachen ein. Insbesondere die nordschwedischen Spezialitäten wollten wir probieren. Wir haderten etwas, tatsächlich Elch- und Rentierfleisch zu kaufen, weil die Tiere so süß waren und ich generell gegen das Töten von Tieren bin. Am Ende kauften wir es doch. Einen toten Elch und ein totes Rentier konnten wir mit unserem Gewissen vereinbaren. Natürlich hält man mit so etwas die Maschinerie am Laufen, unterstützt das Geschäft und es wird nicht nur ein Tier getötet. Aber da wir sonst eigentlich nie Fleisch essen, mit diesem einen Kauf ja „tatsächlich“ nur jeweils ein Tier auf unser Konto ging und die Einnahmen für das Rentierfleisch in die Taschen der indigenen Bevölkerung gingen, die die Rentiere in Lappland hält, taten wir es trotzdem. Wir kauften Elchsalami und getrocknetes Rentierfleisch und waren dann schon neugierig. 

Direkt vor dem ICA standen zwei Holzbänke und ein Tisch und wir testeten unsere Käufe. Irgendwie war das letzte Essen eh schon lange her und bestand vermutlich mal wieder aus Kichererbsen im Tetrapak. Immerhin geben die viel pflanzliches Protein. Sind also nicht der schlechteste Snack. Obwohl ich sie jetzt nach der Reise nicht mehr sehen kann. 

Lange Rede, kurzer Sinn: das getrocknete Ren war nicht mein Fall. 

Generell war das das erste Mal, dass ich Trockenfleisch gegessen habe und nää. Ich kann den Geschmack nicht beschreiben, aber habe ihn noch genau auf der Zunge. Irgendwie salzig, ledrig und… zäh. Man konnte das kaum kauen und auch mit unserem superscharfen norwegischen Taschenmesser war es nur mit Mühe und Not möglich, überhaupt ein Stück da rauszuschneiden. Immerhin hatten wir uns am Ende für das kleinere 150 g Stück entschieden. Ich bin meinem Freund ganz dankbar für die Entscheidung, obwohl er im Nachhinein vielleicht doch lieber das größere Stück gehabt hätte. Wie sich herausstellte, wurde das nämlich zu seinem neuen Lieblingssnack. 

Es ist sehr verwunderlich, wie viel 150 g sein können, wenn man etwas kaum runterkriegt.

 

Die Elchsalami fand ich besser, schmeckte aber keinen großen Unterschied zu anderer Salami, sodass ich immernoch nicht wirklich weiß, wie Elchfleisch denn nun schmeckt. Eigentlich wollte ich nochmal irgendwann das viel angepriesene schwedische Elchsteak probieren, aber dazu kam es nicht mehr. Bin ich jetzt aber auch nicht traurig drum. 

 

Nach dem Snack machten wir uns dann mit unseren gefühlt tausend Kilo Gepäck auf den Weg zum Hostel.

- Um dann festzustellen, dass der Check-in schon geschlossen war. Ja, moin!   

Und nun? 

 

Es gab ein, zwei Straßen weiter noch ein Hotel und den Campingplatz, 3 Kilometer außerhalb der Stadt. Und das wars. Mehr hatte die sagenumwobene Stadt Jokkmokk am Nordpolarkreis nicht zu bieten. 

Wir sammelten wieder unser Zeug zusammen, wuchteten die Rucksäcke auf und gingen zum Hotel. Um dann dort zu erfahren, dass eine Nacht 100 € kostete. 

Wir waren so durchgefroren und verzweifelt inzwischen, dass wir kurz in Betracht zogen, das Zimmer zu nehmen. Aber dann stellten wir uns vor, was wir stattdessen alles so mit den 100 € machen konnten und außerdem hatten wir in Stockholm schon viel zu viel Geld ausgegeben. Ganz zu schweigen von der Zugfahrt hierher, die trotz des Ekelniveaus abscheulich teuer gewesen war.

Wir warfen einander einen Blick zu und die Entscheidung war gefallen. 

Mein Freund rief beim Campingplatz an und dort konnte man - warum auch immer - nur solche Hütten mieten, jedenfalls hatten wir am Ende nur den Preis für die Hütten gesagt bekommen und dieser lag noch höher, weil die Hütten auch für mindestens 4 Leute ausgelegt waren. Außerdem die 3 Kilometer Fußmarsch. Mit Gepäck. An der Bushaltestelle stand, der Bus kommt einfach irgendwann und eine Telefonnummer, wo man anrufen konnte, wenn man wissen wollte, wann denn wohl der nächste Bus kam. Willkommen in Lappland…

Der Campingplatz fiel also auch raus und so langsam waren unsere Optionen erschöpft. 

 

Außer… 

Eine Idee schwirrte mir ja schon lange im Kopf herum, aber ich hatte sie in der letzten Zeit in eine unwichtige Ecke verbannt, nachdem mich die Texte über Wildtiere und die Begegnung mit den Wildschweinen ein bisschen verschreckt hatten. 

Aber was anderes blieb uns nicht übrig. 

 

Wir marschierten in den Wald hinter dem See, der an der Rückseite des Hotels lag. Was die Umsetzung des schwedischen Jedermannsrecht - Allemansrätten - anging, war ich immernoch ziemlich unsicher. So sehr wird es uns Deutschen eingetrichtert, dass man nicht irgendwo einfach sein Zelt aufschlagen darf. Und vor allem muss man ja in Deutschland auch damit rechnen, dass irgendwelche aggressiven Menschen einen unfreundlich anschreien oder einfach die Polizei rufen. Danke, Deutschland, macht Spaß mit dir! 👍🏻 Aber das ist ein anderes Thema… 

Ich las mir also immer und immer wieder die Regeln des Jedermannsrechtes durch. Und da es, soweit ich weiß, auch nicht wörtlich in einem Gesetz verankert ist, sondern mehr eine „heilige“ Handhabung aus vergangenen Zeiten, sind die Regeln eben so, wie sie immer gelebt und weitergegeben wurden. Kurz gesagt darf man fast alles, solange man nichts kaputt macht, der Natur keinen Schaden zufügt und nichts mitnimmt außer seinen Müll. 

Außer Sichtweite der nächsten Häuser waren wir. ✅

Auf keiner landwirtschaftlich genutzten Fläche. ✅

In keinem Naturschutzgebiet. ✅

 

Sah alles gut aus soweit. Das einzig Doofe, aber auch Nachvollziehbare, war, dass man nicht länger als 24 Stunden an einem Ort sein Lager aufschlagen durfte. 

Naja, um das Kind nun beim Namen zu nennen: wir campten wild. In Lappland. 

Das Zelt stand relativ schnell und wir waren echt zufrieden. 

Außer, dass uns so furchtbar kalt war.

Aber das Zelt stand in einem kleinen, schönen, lichten Wald, störte keinen und war dennoch keine 5 Minuten von der Stadt entfernt. Irgendwie perfekt. 

Wir folgten dem Weg und erkundeten den Wald. Aber nur ganz kurz. 

 

Irgendwann vorher hatten wir noch einen kleinen Abstecher zur Touristinformation gemacht (die natürlich auch geschlossen war ✅), aber für genau solche Leute wie uns war vorgesorgt worden: Kästen mit Prospekten zu den wichtigsten Informationen und Ausflugszielen befanden sich direkt vor der Tür des Rathauses. 

 

Wir hatten die ganzen Zettel, früher am Tag, schonmal studiert und uns die Unternehmungen eingekreist, die für uns interessant klangen. Und einen Punkt hatten wir noch im Auge, den wir noch heute nacht erledigen wollten. 

 

Wir ruhten uns noch etwas im Zelt aus und wärmten uns wieder auf. 

Dann zog ich mir 3 Hosen und 4 paar Socken an, ein Unterhemd, ein T-Shirt, meinen zweitdicksten Winterpullover und 2 Jacken… 

Yap, ich sah aus wie ein Yeti und war leicht bewegungseingeschränkt. Und kalt war mir auch noch, aber naja. 

Hier in Lappland konnten wir nun erstmals ein weiteres Naturphänomen erleben:

Die Mitternachtssonne!

 

Und so brachen wir zu einer kleinen Mitternachtswanderung auf in Richtung eines Aussichtspunktes. Wie cool, dass wir das direkt auf dem Prospekt gefunden hatten und auch spontan genug waren, direkt loszulegen. Aber warum auch warten und wertvolle Zeit verschwenden? 

 

Es war wirklich faszinierend: Es war bestimmt schon 23 Uhr als wir zu unserer Wanderung aufbrachen und wir mussten uns jetzt auch schon fast beeilen, um noch um Punkt Mitternacht den Aussichtspunkt zu erreichen. Und es war noch taghell. 

Es hätte 14 Uhr sein können, man merkte keinen Unterschied. 

Auch in Stockholm hatte ich in den Wochen vor Mittsommer schon bemerkt, dass es in der Nacht nicht mehr richtig dunkel wurde. Aber kein Vergleich zu hier. 

Wir wanderten durch den Wald, am See entlang, der wunderschön, ruhig und glitzernd in der Nacht lag. Wir liefen an zwei Grillplätzen vorbei, bei denen sogar Brennholz bereitgestellt wurde (wie nett!) und kamen an eine komische Hütte. 

 

Diese Hütte ist besonderes Kulturgut der Sami, wie wir später erfahren haben.

Der Spaziergang war wunderschön und die Aussicht, die wir am Ende genießen konnten eine echte Belohnung. 

 

Ich merkte dann schon, dass ich sehr müde wurde, obwohl es taghell war. Die lange Anreise war doch irgendwie anstrengend gewesen. Und trotzdem hatten wir jetzt schon so viel erlebt seit wir von unserem Ferienhaus in Småland losgefahren waren. Jönköping, die Überraschung am wunderschönen Vätternsee, die ich nie erwartet hätte, der traumhafte Tag in Stockholm, unser Trampingtrip dorthin und jetzt die ersten Schritte in Lappland. 

Schon jetzt waren Nordschweden und Lappland nicht mehr die dunklen, kalten, leeren Orte, die in meiner Fantasie existiert hatten. Obwohl dunkel und kalt im schwedischen Winter wiederum sicher mehr als zutreffend sind. Aber auch damit habe ich jetzt positivere Assoziationen. Der Schnee glitzert ja hell und die heißen Badetonnen gibt es auch in schwedisch Lappland. Mit Hundeschlitten durch den Winter zu düsen lässt bei mir eher ein Gefühl von Winter-Wonder-Land aufkommen als von erdrückender Kälte und Dunkelheit. Und falls es doch erdrückend sein sollte, bin ich ja zum Glück dann nicht mehr hier. 

Ich kann auch nur sagen, dass es zu 100% die richtige Entscheidung für mich gewesen ist, Lappland und Nordschweden im Sommer kennenzulernen. Denn im Winter hätte ich mich das nie getraut. Diese „Angst“ ist jetzt weg und ich komme gerne nochmal im Winter nach Lappland. Denn Lappland hat so viel zu bieten. 

 

Vom Aussichtspunkt mussten wir noch eine ganze Weile zurücklaufen und dann kuschelten wir uns endlich ins Zelt. Dass ich doch noch wildcampen würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Wie gut, dass wir zu spät zum Check-in gekommen sind! Ich sage ja, wir wurden immer entlohnt, wenn etwas schief lief. 

Ein bisschen mulmig war mir schon, weil wir auf unserer Wanderung noch eine ominöse Entdeckung machten. Viele Bäume waren tot. Die Rinde bzw. die Stämme und auch die kleinen Ästchen waren abgefressen und schwarze „Fäden“ hingen in den Bäumen. Und zwar in fast jedem. Wir analysierten das genauer. Mein Biologenherz war mal wieder aktiviert worden. Die Fraßspuren fingen erst ab einer gewissen Höhe an. Dachte ich zuerst an Fraßschäden durch Elche oder Ähnliches, konnte ich mir das irgendwann nicht mehr vorstellen, da die Schäden sehr hoch in die Bäume gingen und trotz ihrer imposanten Größe käme da kein Elch mehr an. Und diese schwarzen Fäden… Vielleicht doch ein kleineres Tier? Vielfraße? Aber fraßen Vielfraße Bäume? Ich glaube nicht. 

Vielleicht war es ja doch nicht tierischen Ursprungs, sondern eine Baumkrankheit? Flechten vielleicht? Schäden durch den Klimawandel? 

Aber diese Fäden sahen aus wie Fell! Welches Tier verlor bitte SO VIEL Fell? Und das an jedem Baum auf jedem Ast? 

Ich fand es etwas gruselig und konnte mit den Gedanken daran dann nicht so beruhigt einschlafen. Ich schickte meinen Freund nochmal raus, als ich meinte, außerhalb des Zeltes komische Geräusche zu hören. Ich hatte etwas Angst vor einer Wildschweinattacke. Wie man sich dann immer so schön reinsteigert.

Natürlich war draußen nichts und irgendwann schlief ich ein.

Wir waren eigentlich ziemlich gut ausgestattet, obwohl wir uns vorher nicht die allergrößten Gedanken über unsere Ausstattung gemacht hatten. Aber zwei Sachen fehlten mir wirklich. Und eins davon war ein gescheites Kissen. Wir hatten nur aufblasbare Nackenkissen mit oder benutzten dann irgendwelche Kleidungsstücke als Kopfkissen. Man konnte auf den Nackenkissen echt nicht gut schlafen.. Aber naja. 

Irgendwann in der Nacht wachte ich auf, weil mir furchtbar, furchtbar kalt war. Zum Glück konnte ich dann irgendwann wieder einschlafen und als wir am Morgen aufwachten, hatten wir die erste Nacht in der schwedischen Wildnis gut überstanden.